Haus

Das ifeu in der Wilckensstraße: Neue Standards am alten Standort

Kreisläufe schließen, hohe Effizienz, flexible Suffizienz, erneuerbare Energien und „Smart Readiness“: So kann man das Konzept der „neuen Wilckensstraße 3“ in aktuelle Schlagworte fassen. Im Dezember 2016 war klar: Das alte ifeu-Gebäude hat ausgedient. Der Öltankzug hatte wieder einmal viele Tausend Liter Heizöl angeliefert; kurz darauf fiel der Kessel aus und das ifeu saß drei Tage im Kalten. Die wissenschaftliche Studie für die Effizienzstrategie Gebäude der Bundesregierung, die besonders die Bedeutung von erneuerbaren Energien und Energieeffizienz für die Erreichung der Klimaziele betont, hatten wir zeitgleich abgeschlossen.

Das neue Bürogebäude wurde von den AAg-Architekten, dem Heidelberger Architekturbüro Loebner Schäfer Weber, entworfen. Die Eigentümer, die Verlegerfamilie Hüthig, war zu unserer Freude bereit, in Zusammenarbeit ein nachhaltiges Gebäude zu errichten. Begleitet vom erfahrenen Projektentwickler Günther Plaßmann wurde die Planung mit Blick auf Kosten und Wirtschaftlichkeit umgesetzt. Stadtplanerische Randbedingungen und an das Wohngebiet angepasste Bebauung, die Anforderungen eines wachsenden Forschungsinstituts, das kreative Arbeitsplätze, hohe Flexibilität und inspirierende Tagungsräume benötigt – das sind einige der Herausforderungen. Die Grundidee besteht aus robusten, übertragbaren Gebäudelösungen, die zu einem ansprechenden Ganzen zusammengefügt  werden – und die hohen Anforderungen des Klimaschutzplans für 2050 erfüllen. Der ursprüngliche Plan, das Gebäude lediglich zu sanieren, wurde zugunsten eines Abrisses des Haupthauses verworfen, um den besten KfW-Standard für Bürogebäude zu erreichen. Die vorausgegangene Ökobilanz belegte die Vorteile des Teil-Neubaus. Weiteres Plus: Auch das Kellergeschoss konnte quadratmeterschonend ausgebaut werden.

Efficiency first

Die ökologische Raffinesse der Wilckensstraße liegt in der konsequenten Effizienz – „Efficiency First“, wie es in der europäischen Gebäudepolitik heißt –, verknüpft mit erneuerbaren Energien, klimafreundlichen Baustoffen und einem ganzheitlichen Nutzungskonzept. Das Gebäudekonzept reagiert mit einem offenen, von Holzelementen geprägten Erscheinungsbild. Der Glasflur bildet die Fuge zwischen Alt- und Neubau – eine Brücke zwischen der ehemaligen Druckerei und dem neuen Forschungsinstitut. Die Anforderungen des Stadtplanungsamtes führten zu einer Ausprägung mit Staffelgeschoss, das einen vorgelagerten Balkon mit Blick auf das Heidelberger Schloss ziert. Beim Anschluss des Altbaus wurde die raumprägende Beton-Rippendecke freigelegt, die nun eine Erinnerung an frühere Nutzungen hervorruft. Das Haupthaus wird mit einem klaren Materialkonzept unterlegt: Recyclingbeton geöffnet im Treppenhaus, kombiniert mit heimischen Eiche- und Weißtanne-Oberflächen im Innenausbau.

Hohe Effizienz im richtigen Maß

Eine durchgängige hocheffiziente Wärmedämmung des Neubaus und eine Sanierung des Anbaus auf Passivhaus-Qualität sowie beste Fenster aus Holz garantieren niedrigste Wärmeverluste. Insgesamt wird der beste für Bürogebäude definierte Energiestandard (Effizienzgebäude 55) deutlich unterschritten. Setzt man einen lokalen Klimadatensatz an und überträgt den Standard sinngemäß auf Bürogebäude, so wird sogar der Effizienzhaus-40-plus-Standard erreicht. Im Anbau unterschreiten wir die gesetzlichen Anforderungen um 70 Prozent.

Eine Lüftungsanlage mit hohem Wärmerückgewinnungsgrad minimiert Lüftungsverluste. Die Abwärme aus dem Duschwasser wird mit einem Wärmetauscher zum Vorheizen des Wassers genutzt. Damit werden rund 15 Prozent Energie für die Erwärmung des Duschwassers gespart.

LowEx - Heizen mit dem Rücklauf

Heizen mit niedrigem Exergie-Einsatz: Der alte Ölkessel wird ersetzt durch einen Anschluss an das Heidelberger Fernwärmenetz, das schrittweise erneuerbarer und klimaschonender werden wird. Um diesen Prozess zu unterstützen, sind die Versorgungsleitungen des ifeu am Rücklauf der Fernwärme angeschlossen. Die Abwärme, die von den Nachbarn an die Stadtwerke zurückgegeben wird, reicht durch die großen Heizflächen und das niedrige Temperaturniveau der ifeu-Heizverteilung (weniger als 50 °C) aus, um das Gebäude zu beheizen. Dadurch steigt auch die Effizienz des Heidelberger Fernwärmenetzes. Außerdem ist der Leistungspreis niedriger – also auch ein wirtschaftlicher Gewinn. Die geringen Warmwasser-Mengen werden elektrisch erzeugt.

Photovoltaik

Eine große PV-Anlage auf dem Dach des Neubaus und Teilen des Anbaus liefert Eigenstrom. Mit 30 Kilowatt erzeugt sie mehr Strom, als in der Jahresbilanz verbraucht wird. Überschüssige Mengen werden ins Netz eingespeist.

Durch die kombinierte Ausrichtung der Module nach Osten, Westen und Süden wird konsequent ein Erzeugungsprofil ermöglicht, das möglichst nahe an den Bürostrombedarf herankommt. Dadurch kann auch auf eine Batteriespeicherung verzichtet werden. Durch die Gebäudesteuerung könnte, wenn es das Energierecht hergeben würde, sogar ein Stromhandel mit weiteren Stromverbrauchern stattfinden.

Ressourcenschonende Baumaterialien

Wichtiger Baustoff ist ressourcenschonender oder Recycling-Beton, auch R-Beton genannt: Aus dem Abbruch des alten Gebäudes werden Zuschlagstoffe für den neuen Beton zurückgewonnen. Das spart Ressourcen – vor allem Kies und Sand – und verbessert die Ökobilanz. Im Innenausbau setzt das Gebäude auf hohe Holzanteile aus zertifizierten Hölzern. Shards heißen die Fliesen der Designerin Lea Schücking in der Cafeteria. Zu ihrer Herstellung werden ausschließlich Rohstoffe verwendet, die auf Mülldeponien und Bauschutthöfen gesammelt werden – u. a. Ziegelsteine und Glasscherben. Die so entstehenden Kacheln weisen unterschiedliche Oberflächenstrukturen und Haptiken auf und erstrahlen, je nach Mischverhältnis und Brenntemperatur der verwendeten Materialien, in den schönsten Farben.

Umweltfreundliche betriebliche Mobilität

Mit 60 Fahrradparkplätzen, einer Ladesäule für Elektrofahrzeuge und guter Anbindung an den öffentlichen Verkehr verfolgt das ifeu ein nachhaltiges Mobilitätskonzept. Nur fünf Prozent der Mitarbeitenden können nicht mit dem Umweltverbund zur Arbeit kommen. Die Fahrradparkplätze ersetzen einen Teil der rechtlich erforderlichen PkW-Stellplätze. Mitarbeitende erhalten Bahncards und Car-Sharing-Zugänge.

Weitere Innovationen

Die Kühlung des Hauses erfolgt weitestgehend frei durch außenliegende Verschattung. Teile der Betonwände und -decken bleiben als Speichermasse unverkleidet. Dadurch entsteht zugleich eine rohe, ehrliche Oberfläche. Eine – vorrangig von der Solaranlage gespeiste – Kühlanlage kühlt Sitzungs- und Serverräume nur bei Bedarf. Mit einer Regenwasser-Zisterne und einem separaten Grauwassernetz wird die Ressource Wasser sparsam verwendet. Das ifeu-Café, in dem das wöchentliche gemeinsame Essen gekocht wird, wird mit Biokiste und aus solidarischer Landwirtschaft versorgt. Eine Kräuterecke soll ökologische und geschmackliche Raffinesse verbinden. Möbel werden aus Auflösungen und von einer Initiative für Flüchtende bezogen. Durch die flexible Raumgestaltung und die Fensterbänder ist es möglich, auf Wachstum oder Schrumpfung des ifeu zu reagieren. Die Räume sollen auch für öffentliche Veranstaltungen und andere Nutzergruppen zur Verfügung gestellt werden. Eine höhere Auslastung der Räume trägt zu einer hohen Quadratmetereffizienz bei.

Das ifeu in Zahlen

Bruttogeschlossfläche: 2.260 m2
Energiestandard Hauptgebäude (Neubau): Unterschreitet Effizienzgebäude 55 um 17 %
Primärenergiebedarf des Neubaus: 67 kWh/m2a
Primärenergiebedarf des Anbaus: 56 kWh/m2a
Wärmeversorgung: Rücklauf der Heidelberger Fernwärme („Low Ex“), fP 0,5
Erneuerbare Energien: 30 kWp Photovoltaik Wärmerückgewinnung aus Lüftungsanlage und Duschabwasser
Baumaterialien Neubau: R-Beton, Holz, Steinwolle
Wärmeverteilung: Fußboden- und Flächenheizungen
Warmwasserversorgung: Elektronisch geregelte Durchlauferhitzer und Abwärmerückgewinnung aus dem Duschwasser

Text: Martin Pehnt
Fotos: Christian Buck
Architekten: AAg LoebnerSchäferWeber Freie Architekten GmbH
Bauherr: Holger Hüthig

Den ifeu-Gebäude-Flyer können Sie hier herunterladen. Und hier finden Sie die ifeu-Imagebroschüre.