Nachrichtenarchiv

Sind „Bio“kraftstoffe tatsächlich Bio?

Die Nutzung von Agrokraftstoffen trägt nicht zum Klimaschutz bei. Aus Sicht des Klimaschutzes, des Schutzes der biologischen Vielfalt und der Ernährungssicherheit sind andere Flächennutzungen zu bevorzugen. Das ist eines der zentralen Ergebnisse einer neuen ifeu-Studie.

In der Studie „The Carbon and Food Opportunity Costs of Biofuels in the EU27 plus the UK“ wurden erstmals die in Europa produzierten und verbrauchten Agrokraftstoffe (Kraftstoffe auf Basis pflanzlicher Öle und Fette aus angebauter Biomasse, die fossilen Kraftstoffen beigemischt werden, auch „Bio“kraftstoffe genannt) erhoben. Die Erhebung der Daten und deren Analyse ermöglichen es, die Kohlenstoff- und Nahrungsmittel-Opportunitätskosten pflanzenbasierter Agrokraftstoffe, einschließlich Biomethan, zu bestimmen, die in der EU27 und im Vereinigten Königreich produziert und verbraucht werden. Diese Untersuchungen liefern Informationen für die aktuelle politische Diskussion im Zusammenhang mit Agrokraftstoffen und ermöglichen ein besseres Verständnis von Flächen als knappe und kostbare Ressource.

Bezüglich der Mengen an pflanzenbasierten Agrokraftstoffen und Biomethan in Europa konnte gezeigt werden, dass im Jahr 2020 etwa 99 Petajoule (PJ) Agroethanol und rund 213 PJ Agrodiesel aus in Europa angebauten Energiepflanzen in Europa produziert werden. Es werden ca. 102 PJ Agroethanol, 349 PJ Agrodiesel und 0,6 PJ Biomethan auf der Basis von Anbaubiomasse verbraucht. Diese Produktionsmengen gehen mit einem Flächenbedarf von 3,7 Mio. ha für die erzeugten und 5,27 Mio. ha für die verbrauchten Agrokraftstoffe einher.

Der Vergleich mit einem Elektroauto, das mit Strom aus Freiflächen-Photovoltaikanlagen angetrieben wird, zeigt, dass für die gleiche Reichweite nur 2,5 % der für die Agrokraftstoffproduktion genutzten Ackerfläche benötigt werden, um den Strom für die Elektroautos bereitzustellen.

In dieser Studie nehmen wir als eine alternative Flächennutzung an, dass sich auf den global verteilten Anbauflächen, wenn sie nicht mehr für den Anbau von Energiepflanzen genutzt werden, ein flächendeckender Neubewuchs mit regionalspezifischen Vegetationstypen entwickelt. Dies würde bedeuten, dass sich auf diesen Flächen Kohlenstoffspeicher in der natürlichen Vegetation entwickeln könnten. Insgesamt könnten durch das so genannte „rewilding“, also die Renaturierung, jährlich 66,3 Millionen Tonnen CO2 gespeichert werden. Dieser verlorene Speichereffekt entspricht den Kohlenstoff-Opportunitätskosten (COC) pflanzenbasierter Agrokraftstoffe.

Setzt man die COC in Relation zu den Treibhausgaseinsparungen, die sich durch den Ersatz fossiler Brennstoffe durch Agrokraftstoffe in Europa erzielen lassen, wird deutlich, dass durch das so genannte „rewilding“ 30 Mio. t CO2-Äquivalente mehr eingespart werden können, als wenn die gleiche Fläche für den Anbau von Pflanzen genutzt wird, um fossilen Diesel und Benzin zu ersetzen. Folglich übersteigen die COC von Agrokraftstoffen auf Pflanzenbasis die offiziellen CO2-Einsparungen im Zuge ihrer Nutzung erheblich. Das bedeutet jedoch nicht, dass fossile Brennstoffe zu bevorzugen seien. Stattdessen zeigt der Vergleich mit dem Flächenverbrauch für Strom aus PV-Anlagen, dass sich mit E-Mobilität noch höhere Einsparungen erzielen lassen.

Darüber hinaus weist die Studie den kalorischen Wert der Energiepflanzen, die derzeit für die Agrokraftstoffproduktion verwendet werden, aus. Die für Agrokraftstoffe verwendeten Energiepflanzen haben einen kalorischen Wert von 178 Billionen kcal (ohne Allokation) bzw. 113 Billionen kcal (mit Allokation). Mit diesen Kalorien lassen sich etwa 27 % (bei 113 Billionen kcal) und 43 % (bei 178 Billionen kcal) der Bevölkerung der EU27 und des Vereinigten Königreichs versorgen. Was die Menge an Nahrungsmitteln betrifft, die sich auf der gesamten Anbaufläche anbauen ließen, so könnten auf dieser Fläche 31 Millionen Tonnen Weizen angebaut werden, was einem Nährwert von 96 Billionen kcal entspricht. Damit können ebenfalls ca. 23 % der Bevölkerung der EU27 und des Vereinigten Königreichs versorgt werden. Dies sind die Opportunitätskosten für Nahrungsmittel.

In Bezug auf andere ökologische Aspekte hat die Studie festgestellt, dass 5,27 Millionen Hektar landwirtschaftlicher Fläche, die derzeit für Agrokraftstoffe im europäischen Verkehrssektor genutzt werden, 2,06 Millionen Hektar versiegelter Fläche entsprechen. Diese ökologischen Opportunitätskosten entsprechen 6 % der bestehenden Belastung infolge von Flächenversiegelung in Europa. Die Studie hat gezeigt, dass die Nutzung von Agrokraftstoffen nicht zum Klimaschutz beiträgt und dass aus Sicht des Klimaschutzes, des Schutzes der biologischen Vielfalt und der Ernährungssicherheit andere Flächennutzungen zu bevorzugen sind.

Zur ifeu-Studie „The Carbon and Food Opportunity Costs of Biofuels in the EU27 plus the UK“ (auf Englisch)